Bethge Ära

-Die Elektronenmikroskopie in Halle auf dem Weinberg hat eine lange Tradition mit großem Einfluss auf die Gegenwart.

Auf den Anfang – die Jahre 1960 – 1991 am Akademie-Institut für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie bezieht sich der folgende Rückblick  (vgl. auch die von K.W. Keller zusammengestellten Postertafeln, die während des Kolloquiums zu sehen sind).

Gründung der Arbeitsstelle für Elektronenmikroskopie

Ausgangspunkt für die Arbeiten von Heinz Bethge waren die Arbeiten von A. Smekal,  der als Ordinarius für theoretische und technische Physik an der halleschen Universität in den 1930er Jahren die Begriffe des Realkristalls und der Lockerstelle in die Festkörperphysik eingeführt hatte. Um diese Lockerstellen zu finden baute Bethge mehrere Elektronenmikroskope. Die gewonnenen Erfahrungen gingen in die Entwicklungsarbeiten von Carl Zeiss Jena ein. Mit seinen Ergebnissen war Bethge auf der Internationalen Konferenz für Elektronenmikroskopie 1958 in Berlin nachhaltig erfolgreich: Zum 1. Januar 1960 wurde innerhalb der Forschungsgemeinschaft der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin die Arbeitsstelle für Elektronenmikroskopie gegründet (ab 1968 Institut für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie).

Mit der Wende beendete das Institut für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie am 31. Dezember 1991 seine Arbeit. Aus ihm entstanden das Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik und das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM.

Juli 1961: Grundsteinlegung

Luftaufnahme der „Weinbergterrassen“ in der Heideallee

Stein auf Stein

Januar 1961: Die ersten Mitarbeiter

Architektur und Kunst

Im Hauptgebäude wurde 1962/63 die Arbeit aufgenommen. Seinen  architektonischen Reiz verdankt es der zugrundeliegenden Studie des Architekten Franz Ehrlich (1907 – 1984), einem Bauhaus-Schüler, der es  in besonderer Weise verstand, Funktionalität und Ästhetik  miteinander zu verbinden.

Es folgten weitere Bauten: 1971 die HEM-Halle mit Laborgebäude, 1978 das Wissenschaftlergebäude zur Unterbringung von Gastwissenschaftlern, 1984 ein Anbau für die Arbeitsgruppe Rechentechnik („Rechnerwürfel“) und das UHV-Technikum als Erweiterung der Feinmechanischen Werkstatt.

Bemerkenswert sind die Beiträge zur Kunst am/im Bau von Karin Riebensahm, Martin Wetzel und Franz Ehrlich. Karin Riebensahm (1932-2010), von der Kunsthochschule Burg Giebichenstein herkommend, hat sich vor allem als Email-Künstlerin hervorgetan. In ihrer Vorliebe für eine abstrakte Formensprache war sie der Welt der Mikrostrukturen gegenüber sehr aufgeschlossen. Die Stärke von Martin Wetzel (1929 – 2009), bedeutender Bildhauer und Professor an der „Burg“, war die Darstellung von Menschen, sowohl als größere Skulpturen im öffentlichen Raum als auch in intimerer Gestaltung. Das Bild von Franz Ehrlich ist ein Werk neben seiner Arbeit als Architekt.

Hauptgebäude – Rückfront mit Werkstattflügel

HEM-Halle

Wissenschaftlergebäude

„Hommage an die Begründer der Lichtmikroskopie“ Relief von Martin Wetzel

„Ergebnisse der Elektronenmikroskopie“ Emailbild von Karin Riebensahm

„Musik“ Bild von Franz Ehrlich

„Geiger“ Skulptur von Martin Wetzel

Heinz Bethge und seine Mannschaft

Heinz Bethge (1919- 2001) war von 1960 bis1984 Direktor des Akademieinstituts für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie.

Er war außergewöhnlich – als  Mensch, Wissenschaftler und Chef.

Er sorgte für ausgezeichnete Arbeitsbedingungen hinsichtlich gerätetechnischer Ausstattung und der Unterbringung. Er inspirierte immer wieder mit seinen Ideen: Mit den Ergebnissen des Instituts erlangte er auf internationalen Tagungen hohe Anerkennung und setzte sich auch dafür ein, dass seine Mitarbeiter zu internationalen Kongressen und Arbeitsaufenthalten im Ausland fahren konnten. Großes Geschick zeigte er im Umgang mit Funktionären und ihren politischen Vorgaben. All dies war Grundlage dafür, dass die Mitarbeiter mit Freude und Engagement beim Aufbau des Instituts mitwirkten.

Bethges Nachfolger ab 1985, Volker Schmidt, führte zusammen mit Johannes Heydenreich das Institut im Bethgeschen Sinne bis zur Schließung weiter. 1992 wurden am Weinberg das Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik und das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM gegründet.

Der Baum der Erkenntnis auf dem Weinberg in Halle, 1979 zum 60. Geburtstag des Chefs

1984 Rückblick und Ausblick

Die Werkstätten

Anlieferung einer Drehbank für die Werkstatt

Beim Eintrag in den Ehren-Doktorhut

Amtsübergabe an Volker Schmidt

Kontakte weltweit

Die Vielfältigkeit der elektronenmikroskopischen Methoden ließen die vorgesehene Rolle eines international beachteten Zentrums für Elektronenmikroskopie Wirklichkeit werden – innerhalb der DDR und darüber hinaus in den sozialistischen Ländern.

Den Rahmen hierfür bildete das 1975 gegründete Internationale Zentrum für Elektronenmikroskopie.

Neben den Arbeitsaufenthalten von Gastwissenschaftlern wurden Frühjahrs- und Herbstschulen sowie von internationalen Konferenzen durchgeführt. Zudem waren Wissenschaftler aus der Bundesrepublik, aus Westeuropa, den USA und Japan zu Gast und es gab wechselseitige Arbeitsaufenthalte. All diese Kontakte betrafen jedoch nicht nur die Elektronenmikroskopie als Methode, sondern ganz wesentlich auch die Diskussion der Ergebnisse. Ein herausragendes Beispiel ist die Zusammenarbeit mit dem Institut für Physikalische Chemie der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, insbesondere in Gestalt von gemeinsamen Seminaren.

Auch der Kosmonaut S. Jähn schaut einmal ins Elektronenmikroskop.

Regelmäßig kamen Schüler von halleschen Schulen ins Institut.

N. Paschoff aus Sofia war 1961/62 der erste Gastwissenschaftler.

Teilnehmer einer Schule werden am Rasterelektronenmikroskop unterwiesen.

Die Teilnehmer der Herbstschule 1977 des Internationalen Zentrums für Elektronenmikroskopie.

Ergebnisse

Bethges Intention war zunächst von der Oberfläche her Aussagen zur Kristallphysik zu erhalten.  Mit großem Erfolg wurde die Methode der Gold-Dekoration nach G. A. Bassett angewendet, um  atomare Stufen auf Kristalloberflächen sichtbar zu machen; es gibt aber noch weitere Möglichkeiten der Oberflächen-Dekoration. Es begann mit der Untersuchung von Spaltflächen und abgedampften Oberflächen von Steinsalz.

Hieraus ergaben sich die Forschungsrichtungen des Instituts:
- Bruch-  und Plastizitätsforschung
- Kristallwachstum und Wachstum dünner Schichten
- Grenzflächen- und  Oberflächenphysik

Hinzu kam die Weiterentwicklung der elektronenmikroskopischen Methoden. Experiment und Theorie gingen Hand in Hand. Als Modellsubstanzen dienten Steinsalz (NaCl) und Magnesiumoxid.

Gold-Dekoration von atomaren Stufen

Kristallgitter-Aufnahme von Goldpartikeln

Elementarprozesse von Bruch und Plastizität: Spaltstufen und Gleitlinien auf NaCl

Erkenntnisse über Gitterdefekte und Vorgänge im Kristallinneren konnten zum Teil schon aus den Beobachtungen an der Oberfläche gewonnen werden, direkter jedoch mittels Durchstrahlung in einem Höchstspannungs-Elektronenmikroskop mit Hilfe des Beugungskontrastes. Die Identifizierung der beobachteten Kristalldefekte wurde unterstützt durch Computersimulation. Besonderes Gewicht erlangten die in-situ-Untersuchungen zum thermischen und plastischen Verhalten von Materialien mit einer im Institut entwickelten Hochtemperatur-Dehneinrichtung. Die Abbildung der Kristallgitterstruktur und die lokale chemische Analyse wurden schließlich mittels Hochauflösungs- und analytischer Elektronenmikroskopie möglich.

Neben der Grundlagenforschung hatte das Institut die Aufgabe, Beiträge für die Volkswirtschaft zu leisten. Dies geschah durch den Einsatz der Elektronenmikroskopie in einer wirkungsvollen Zusammenarbeit, vor allem mit der Mikroelektronik- (1) und der chemischen (2) Industrie, sowie der Aufklärung von Schadensfällen an technischen Anlagen und Produkten auf der Grundlage rasterelektronenmikroskopischer Fraktographie (3).

Die Ausstattung mit Elektronenmikroskopen war sehr gut, darunter war eines der weltweit seltenen Höchstspannungs-Elektronenmikroskope. Wichtig war das Vorhandensein verschiedener, sich ergänzender elekronenmikroskopischer Verfahren und eine kooperative, erfahrene Mannschaft. Hinzu kamen elektronenoptische Verfahren zur Oberflächencharakterisierung wie LEED und AES, auch wurde ein Photoelektronenemissionsmikroskop entwickelt (4).

Elementarprozesse der Plastizität: In-situ-Beobachtung der Bewegung von Versetzungen in Magnesiumoxid und ihrer Wechselwirkung mit Hindernissen

Mechanismen des Kristallwachstums: Beim Abdampfen von NaCl gebildete Spiralstufen

Nickel–Kohlenstoff–Multischichten. Die Nickelschichten amorph oder polykristallin.